Der Hirnschaden - Illustration, Comic

 

Es war einmal eine Geschichte, die so sich zugetragen hat wahrhaft erzählenswert, gleichsam unterhaltend und aufschlussreich ist.

Vorausgeschickt und von Bedeutung notwendig ist ein kurzer Steckbrief des Protagonisten, welcher im Laufe der Handlung zum Mittelpunkt avanciert.


Gänzlich wächsern in zartem Altrosa mit einer gewundenen Struktur, welche bei argloser Betrachtung an die Form des zur Erkenntnisfähigkeit wichtigsten Organs erinnerte.

Befasst sich der geneigte Kunstinteressierte zudem näher mit diesem Anschauungsobjekt, fällt möglicherweise auf, dass an diesem zudem ein kleiner – zugegeben etwas undeutlich modellierter - wurmähnlicher Fortsatz wahrzunehmen war, welches natürlich auch Ansichtssache sei und nur von der richtigen Perspektive aus erkenntlich scheint.

Stichpunkt Wurmfortsatz – dahin geneigt mancher wieder an fiktionelle Analogien denkt was im Grunde weitestgehend der Knackpunkt dieser Geschichte ist - doch dazu später.

Zum Zeitpunkt des Geschehens stand unser Exemplar eher unbeachtet am Rande einer Ausstellung auf einem Sockel – nicht unbedingt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, was sich jedoch bald ändern sollte – und zwar in der Art, wie das Leben selbst nur unerwartete Geschehnisse hervorzubringen vermag.


 

 

 

Die Vernissage selbst war gut besucht und es herrschte reger Betrieb.

Zunächst war diese selbst, wohl wie die meisten Ausstellungseröffnungen leidlich spannend, highlighted von der dargebotenen Performance und der Getränke die gereicht wurden.

Ein gesellschaftliches Zusammenkommen um zu sehen und gesehen zu werden und sich im Lichte der Kunst gar selbst in der Wahrnehmung als Liebhaber, Förderer, Verständiger und potentieller Mäzen zu fühlen, mit der Aussicht, sich auf hohem Niveau zu unterhalten.

Ein schönes Gefühl - unbedingt gewollt, von den Künstlern befördert , hoffend vielleicht eines der Werke an diesem Abend in neue Hände zu übereignen.

Um so auch die Mühen der Organisation und natürlich der Leistung ein Werk von Bedeutung geschaffen zu haben, Wertschätzung widerfahren zu lassen.

Im Laufe des Abends besuchte so auch eine wahrhaft kunstinteressierte Dame nebst Ihrem Hund selbige Schau, etwas verspätet eingetroffen in der Hoffnung unbeeinflusst von der üblichen Einführung sich selbst unvoreingenommen ein Bild von den dargebotenen Werken machen zu können. Fern der Absicht eines zu erwerben, als mehr dem angebotenen Event beizuwohnen um sich mit schauen und inspirieren zu begnügen.

Nicht dass sie, wenn sie die Mittel und dem Raum gehabt hätte ernsthaft auch mit Erwerbsgedanken getragen haben würde. Aber in dieser Hinsicht war sie wohl nicht die Einzige und befand sich wohl eher in adäquater Gesellschaft.

Für sie war es demnach eine immaterielle und inspirative Angelegenheit, sie wollte alles intuitiv und emotional ergründen und war ehrlich erfreut teilhaben zu dürfen, was das reine Künstlerherz sicher berührt und den Ausrichter der Schau ebenso erfreut haben würde, wären diese losgelöst von pekuniären Erfordernissen.

 

Durch die Ausstellungsräumlichkeiten wandernd, bewundernd, überlegend, nachfragend, sinnend und sich mit Begleitern austauschend fielen Ihre Blicke auch auf manch zu- und unzugängliches.

So auch auf das etwas stiefmütterlich auf einen Sockel am Rande stehende Gebilde, welches ihr Rätsel aufgab ob seiner undefinierten Form und blassrosanen Farbe.

So fand es zunächst nur mäßiges Interesse noch Verständnis, was sich beinahe profund und sekündlich ändern sollte.

 

 

 

 

 



Denn durch eines blinden Zufalls walten nahm durch ihren gerade eingenommen Standpunkt die Geschichte eine durchaus interessante Wendung.

So war die Dame kurz abgelenkt durch eine Ansprache im Hauptraum, wegen selbiger sich die hinter Ihr stehenden in Bewegung setzten um dorthin zu gelangen.

 

Dies beförderte ihren tierischen Begleiter sich zu echauffieren und seinem Unmut betreffs des einsetzenden Gedränges Einhalt zu gebieten. Worüber sich die Dame sogleich und abrupt dem Tier zuwandte und zeitgleich mit Ihrer Hinteransicht dem Ausstellungssockel bedrohlich nahekam.

 

 

Unvermeidlich kam was kommen musste, im Zuge der Beruhigungsgesten stieß sie mit ihrem Hinterteil gegen selbigen und brachte ihn zum wanken, so dass er zusammen mit dem rosafarbenen Reflexionsgebilde zu Fall kam, welches dadurch zerbrach.

Unversehens sah sie sich im Zentrum der Aufmerksamkeit und ihr noch immer kläffender Begleiter steigerte die Dramaturgie noch durch seine akustische Synchronisation. Peinlich betroffen und ungelenk hob die Dame mit dem nervösen tierischen Beiwerk das in zwei Teile zerbrochene Werk auf und blickte unsicher in die Menge. Der angeleinte unruhige Geist zappelte indes weiter und um Haaresbreite wäre die Skulptur ein zweites mal gefallen. Da kam dann der Leiter der Werkschau herbei zusammen mit der Urheberin des Werkstücks, welche beide zunächst nicht gerade erfreut waren, um den Schaden zu begutachten.

Eine zunächst überaus unangenehme Situation, der sich die Schädigerin nicht gerade gewachsen sah. Bar jeder Idee wie man solch einer Gegebenheit begegnen könnte, standen die Worte Unglück, Schaden bleiern im Raum, sowie die Überlegung ob das Werk in diesem Zustand überhaupt noch reparabel wäre und ob Frau das Werk denn jetzt kaufen müsse.

 

 

Glücklicherweise kam der rettende Impuls zur Lösung der misslichen Lage von einer Besucherin, welche zufällig schon einmal einer ähnlichen Konstellation beiwohnte und dadurch mitteilen konnte, dass dies hier eigentlich im Grunde überhaupt kein Problem wäre, im Gegenteil so zusagend eine positive Fügung.

Was sie dann zu sagen hatte löste einiges Erstaunen bei den Beteiligten aus.

Hier handele es sich eindeutig um einen Haftungsschaden und die Schädigerin hätte diesen eben nur Ihrer Versicherung zu melden. Diese müsse dann den Wert des Werkes ersetzen. Zudem wäre es ja dann so, dass die Skulpteurin dieses somit quasi verkauft hätte.

Zwar nicht an die kunstinteressierte Dame, was wünschenswerter wäre, aber dafür jedoch an einen Großkonzern. Dieser wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht so sehr an diesem Gebilde interessiert, doch müsste er dafür nun zwangsläufig die Mittel bereitstellen.

Zunehmend entspannt vereinbarten die Beteiligten, eben diesen Fauxpas dergestalt vorgeschlagen zu lösen. Die Dame war demnach auch glücklich, den Schaden nicht selbst bezahlen, noch das Werk erwerben zu müssen.

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, denn die Brisanz und Bedeutung dieser liegt im Werk selbst und der Beschreibung dessen.

Einige Tage später ward nun die Dame dabei sich darum zu bemühen, den Schaden wieder gut zu machen und Ihrer Pflicht gerecht zu werden dies der Haftpflichtversicherung zu melden. Es ist hierbei unerheblich um welchen Konzern es geht, da die Abwicklung und Entwicklung der weiteren Ereignisse austauschbar sind.
Zunächst musste Sie den bürokratischen Weg gehen und sollte von Ihrer Versicherung ein Formular ausfüllen, in welchem sie detailliert den Hergang, Beschreibung/Foto, Betitelung, Kontoverbindung/Anschrift der Geschädigten und Preis des von Ihr beschädigten Werkes nennen sollte.

Was sich wohl wie folgt in Kurzform darstellen ließe:

Hergang: Bei einem Ausstellungsbesuch stieß ich unbeabsichtigt gegen einen Sockel auf dem das Kunstwerk der Künstlerin X stand. Es fiel zu Boden und zerbrach. (wohl vermeidend zu erwähnen mit welchem Körperteil dies geschah)

Beschreibung des Werkstücks/Foto: Altrosane Wachsskulptur mit gewundener Struktur und Wurmfortsatz, einem Gehirn ähnlich. Foto anbei.

Betitelung des Werkes: Erkenntnisorgan des Mannes (lt. Künstlerin X)

Preis: 500 € ohne Mehrwertsteuer




Dem Schadensformular fügte sie noch ein Anschreiben bei, bei dem sie um zeitnahe Regulierung bat mit der verbundenen Frage was nun mit dem Gehirn selbst zu tun sei, bzw. ob der Konzern dies brauche.

Wonach eine Sachbearbeiterin des Konzerns die Dame anrief und Ihr mitteilte:

„sie bräuchten das Werkstück nicht, da man dafür ohnehin keine Verwendung hätte.“

Und dies kann man durchaus so stehen lassen.

Autor: Carlos Christasso
Illustration: Christine Dumbsky

 

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